Was wollte Jean-Pierre-de Caussade? 3
02/01/2022

Aus dem Vorwort von „Hingabe ans Jetzt“ von Jean-Pierre de Caussade, ISBN 978-3-7543-5198-7. Ich werde in Abständen hier Auszüge aus meinem Vorwort sowie aus de Caussades Texten veröffentlichen.

Worum geht es in diesem Buch? Die Grundthemen, die de Caussade entfaltet, heißen: Gegenwart, Hingabe (oder Unterwerfung), Heiligkeit und Pflicht. In spiritueller Lektüre bewanderte Leser werden darin unschwer Begriffe aufscheinen sehen, die in östlich orientierten Lehren eine Rolle spielen: Präsenz (Presence), Surrender (Unterwerfung), Erleuchtung, Erwachen, Bhakti (hingebende Liebe) und Dharma (die richtige Lebensweise). „Nicht dieses oder jenes bringt segensreiche Wirkungen“, so schreibt Jean-Pierre de Caussade, „sondern das, was Gott im Augenblick will. Was im verflossenen Moment am besten war, ist es gegenwärtig nicht mehr. Der Wille Gottes fehlt nun. Er erscheint jetzt in anderer Gestalt, nämlich als Pflicht des gegenwärtigen Augenblicks. Und diese Pflicht, in welcher Gestalt auch immer sie aufritt, bildet das, was die Seele zur Zeit am meisten heiligt.“ Klarer kann man aus religiöser Sicht den Aufruf nicht formulieren‚ „ganz in der Gegenwart zu leben“. Jean-Pierre de Caussade steht damit in einer Reihe mit den großen Meistern der Spiritualität. Eckart Tolle mit seiner „Kraft der Gegenwart“ hatten wir schon erwähnt. Viel früher schon sagt Meister Eckhart, „Zeit ist das, was das Licht von uns fernhält. Es gibt kein größeres Hindernis auf dem Weg zu Gott als die Zeit.“ Und der Poet Rumi schreibt: „Vergangenheit und Zukunft verbergen Gott vor unserer Sicht.“ In unserer Zeit hat Franz Jalics, der große Lehrer des kontemplativen Gebets, in seinen Exerzitien immer wieder betont, dass der Übende „immer wieder in die Gegenwart zurückkommen“ solle, wenn die Gedanken mal wieder auf Wanderschaft waren. „Lege dein Herz in diesen einzigen Augenblick,“ sagt er, „lasse dich ganz auf die Gegenwart ein. In der Gegenwart selbst ist die Gegenwart Gottes verborgen. Von dort wird sie offenbar werden. Die Gegenwart ist der Acker, in dem der Schatz verborgen ist (Mt 13,44). Kaufe diesen Acker und du wirst nicht enttäuscht werden.“[1]Die Gegenwart also als Schlüssel zu einem erfüllten und glücklichen Leben. Jean-Pierre de Caussade ist dafür ein Apologet hohen Ranges. Der Begriff „Sakrament des gegenwärtigen Augenblicks“ gilt als seine Erfindung. Mit all seiner Eloquenz und spirituellen Erfahrung entfaltet er dieses Leitmotiv in immer neuen Facetten. Dass die „Hingabe an die Vorsehung Gottes“ in gewisser Weise ein monothematisches Werk ist, hat schon der Theologe Romano Guardini festgestellt. „Die Bände sagen im Grund immer das Gleiche“, schreibt er, „da es aber wahrhaft einfach ist, bleibt es stets neu.“[2] Tatsächlich sind de Caussades Ausführungen lebendig, wirklichkeitsnah und von einer Radikalität, die auch dem Geist des 21. Jahrhunderts einleuchtet. Das liegt zum einen daran, dass das, was er uns empfiehlt, selbst erlebt, durchlitten und durchmeditiert hat, unter anderem während einer rasch fortschreitenden Erblindung, die ihn in seiner Arbeit behinderte. Zum zweiten war das vorliegende Buch von ihm gar nicht als solches gedacht. Grundlage sind Briefe, die er als Beichtvater und Seelsorger an Schwestern des Visitantinnenklosters in Nancy schrieb –­ daher die direkte Ansprache der Leserin, daher die anschaulichen Bilder.


[1] Franz Jalics, Kontemplative Exerzitien, Echter Verlag, 1994, S. 195

[2] in J.P. de Caussade, Ewigkeit im Augenblick, Herder Verlag 1940, S. 1

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