Aus dem Vorwort von „Hingabe ans Jetzt“ von Jean-Pierre de Caussade, ISBN 978-3-7543-5198-7. Ich werde in Abständen hier Auszüge aus meinem Vorwort sowie aus de Caussades Texten veröffentlichen.
Erleuchtung, Erwachen oder eben Heiligkeit, so kann man seine Lehre zusammenfassen, besteht im Leben hier und jetzt, abzüglich des Widerstands dagegen. Für alles weitere, so schreibt Romano Guardini, befreit de Caussade seine Leserinnen „von der Tyrannei der Methoden“.[1] Sowohl die „wohlwollenden“ wie die „übelwollenden Geschöpfe“ sind als Gesandte Gottes anzusehen, „offenbar können wir uns nicht leichter, nicht wirksamer und nicht nachhaltiger heiligen als durch den schlichten Gebrauch all dessen, was Gott, der oberste Seelenführer, uns jeden Augenblick zu tun oder zu leiden gibt.“ Die Betonung liegt dabei auf „jeden Augenblick“, also jetzt – nicht aber in der Vergangenheit oder Zukunft. Die eine ist verschwunden, die andere nur eine Idee. Einzig der gegenwärtige Augenblick gibt uns die Möglichkeit, an unserer Vervollkommnung und Heiligung zu arbeiten, das heißt sich völlig Gottes Willen hinzugeben. Daher besteht meine ganze Vollkommenheit darin, dass ich im gegenwärtigen Augenblick in uneingeschränkter Übereinstimmung mit dem Willen Gottes bin und handle. Was aber soll dieser so geheimnisvolle Wille Gottes sein? Wie sollen wir ihn erkennen können?
De Caussade findet dafür die radikalst mögliche und zugleich einfachste unter allen Antworten. Gottes Wille ist das, was ist. Um Gottes Willen zu entsprechen und unseren eigenen Willen dem Gottes gleich zu machen, bedarf es nichts anderes, als der Zustimmung. Oder anders ausgedrückt: das zu wollen, was Gott will; das zu wollen, was sich jetzt als Wirklichkeit vorfindet: „Nur durch die Fülle des gegenwärtigen Augenblicks vermag die Seele wahrhaft genährt, gekräftigt, gereinigt, bereichert und geheiligt zu werden. Was verlangst du also noch mehr? Da du alle Güter darin findest, warum sie anderswo suchen? Verstehst du es besser als Gott? Da er es so fügt, wie kannst du es anders wollen?“ Und weiter: „Um das alles heiligmäßig zu vollbringen, habt ihr nur eure Einstellung zu ändern. Euren Willen nämlich. Darin besteht die Heiligkeit: zu wollen, was uns auf Gottes Anordnung hin trifft. Die innere Heiligkeit liegt tatsächlich in einem einfachen „es geschehe“, in einer bloßen Willenshaltung, die mit derjenigen Gottes übereinstimmt. Was gibt es Leichteres? Wer könnte einen so liebenswerten und gütigen Willen nicht lieben? Lieben wir ihn also; und durch diese bloße Liebe wird alles in uns vergöttlicht.“
Die hier geforderte Haltung ist kilometerweit von einer möglicherweise resignativen Akzeptanz entfernt. Die Rede ist von einer aktiven Bejahung der Wirklichkeit: Das zu wollen, was ist! Nur so und nicht anders kann sich – es entbehrt nicht der Logik – das Diktum von de Caussades Ordensgründer Ignatius von Loyola erfüllen: Gott in allen Dingen finden.
[1] ebd. S. 19
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