Das Begreifen der Unbegreiflichkeit
03/08/2018

Karl Rahner, der Theologe des „unbegreiflichen Geheimnis‘ Gottes“, hat in seinem Essay „Was ist der Mensch?“ ähnliche Frage thematisiert wie die Philosophen des Advaita Vedanta.

Er fragt danach, was man über „den Menschen“ wissen könne und zergliedert haarscharf die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.

„Was weiß man eigentlich über sich, wenn man die Erfahrung gemacht hat, dass die eigenen Erfahrungen immer begrenzt sind?… Man hat also die Erfahrung gemacht, dass man eine Frage geblieben ist, der man durch das eigene Leben (als Summe der Erfahrungen) keine Antwort geben wird. Antworten gibt die Erfahrung, aber keine Antwort, die das, wonach gefragt wird, nämlich nach dem Menschen als einen und ganzen“.

Auch die empirischen anthropologischen Wissenschaften könnten hier keine Abhilfe schaffen, so Rahner weiter. „Der Pluralismus dieser Wissenschaften ist unüberwindlich“ – will heißen: die Biologen können nur eine Antwort der Biologie geben, die Physiker eine der Physik usw.  „Darum“, so Rahner weiter, „wird aus ihren Antworten keine Antwort….d.h. die Ergebnisse dieser Wissenschaften lassen sich nicht zu einer einheitlichen Mensch-Formel vereinigen, von der aus alle Einzelergebnisse als Anwendungen und Sonderfälle erscheinen könnten, weil neben vielen anderen Gründen, das Psychische nicht auf das Physische reduziert werden kann“.

Und weiter: Das heutige kurzlebige Ich, das nicht auf die Beantwortung der Frage durch die Wissenschaften in unendlich liegender Zukunft („in der dann endlich alles klar ist“), warten will, „ist faktisch und unvermeidlich das Subjekt, das von der ihm wirklich zugänglichen Wissenschaft mehr Fragen als Antworten erhält… Der Fortschritt der Erkenntnis lässt die Unbegrenztheit unseres Fragehorizonts und dessen bleibende Unerfülltheit immer unausweichlicher erfahren“.

Und Glaube und Theologie? Verheißen sie nicht eine Erfüllung der unendlichen Weite durch den „Besitz“ Gottes, der sich in seiner eigensten Wirklichkeit ohne eine kreatürliche Vermittlung mitteilt… Aber diese Hoffnung muss richtig verstanden werden. Denn eben dieser Glaube und eben diese Theologie besagen, dass Gott auch in dieser Seligkeit der Unbegreifliche bleibe. Wie könnte es auch anders sein? Wäre Gott in dieser Seligkeit begriffen wäre er umgriffen und die Transzendentalität des Menschen griffe über Gott hinaus… Aber wie kann Gott als der Unbegreifliche das Ziel und die Seligkeit des Menschen sein? Wie muss umgekehrt gefragt, der Mensch begriffen werden, dass dieser unbegreifliche Gott seine Seligkeit sein kann?…Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, weil das Begreifen der Unbegreiflichkeit eine Erkenntnis ist, die nicht über die übrigen Erkenntnisse und ihre Verstehbarkeit verrechnet werden kann“.

Die Antwort liegt in der unbegrifflichen Gottesschau, der visio beata.

„Die Seligkeit ist nach christlicher Lehre das unausweichliche und unverdrängbare Erscheinen der Unbegreiflichkeit Gottes und darum auch unserer eigenen Unbegreiflichkeit für uns selbst“.

„Man muss sich also in diese Unbegreiflichkeit als in die wahre Erfüllung und Seligkeit fallen lassen, sich sich selbst durch die unbeantwortbare Frage wegnehmen lassen. Dieses unverständliche Wagnis, das alle Frage hinwegfegt, nennt man gewöhnlich die anbetende Liebe zu Gott.“