Kontemplation

Die Kontemplation ist eine alte christliche Gebetsweise, die strukturell verwandt ist mit dem, was man heute Meditation nennt. In der christlichen Tradition bedeutet Meditation aber etwas anderes, nämlich der meditative Umgang mit Texten. Deshalb folge ich der hergebrachten Benennung und spreche an dieser Stelle von Kontemplation oder dem kontemplativen Gebet – ohne dies dogmatisch zu betreiben.

Interessant ist, dass die Kontemplation in lokalen Schulen unterrichtet wird. Das war schon im Mittelalter und der frühen Neuzeit so. Doch selbst heute, im Zeitalter des Internets, haben sich regionale Eigenheiten ausgebildet. So sind im deutschsprachigen Raum der Jesuitenpater Franz Jalics und der Benediktiner Willigis Jäger einflussreich. In den USA dagegen ist P. Thomas Keating von den Trappisten der heute bekannteste Lehrer.  Die von ihm mitbegründete Bewegung Contemplative Outreach bietet eine fülle von Informationen an. von Von mir persönlich sehr hoch geschätzt ist auch der amerikanische Augustinerpater Martin Laird.

Natürlich zielen alle genannten Schulen auf die Erkenntnis Gottes ab, was zugleich die Erkenntnis unseres tiefsten Innersten ist. Gott wird hier also nicht als eine historische Größe genommen, die vor 2000 Jahren oder besser noch vor dem Urknall gewirkt hat. Und schon gar nicht als eine vom Menschen räumlich getrennte und moralisch richtende Instanz. Sondern als existenzieller Mittelpunkt jedes einzelnen Menschen, der sich nie ganz fassen lässt und sich dennoch als Liebe und Weisheit ausdrückt. „Wenn du es verstanden hast, ist es nicht Gott“, hat Augustinus einmal die Tatsache ausgedrückt, dass Gott sich jeder  begrifflichen und objektivierbaren Gefasstheit entzieht. Und dann weiter: „Meine Seele ruht nicht eher, als sie ruht, Gott, in dir.“

Bei aller Gemeinsamkeit gibt es unterschiedliche Herangehensweisen an das kontemplative Gebet. Die ostkirchliche Tradition, an der sich auch Franz Jalics orientiert, empfiehlt eine eher mantrische Gebetsweise. Das „Centering Prayer“, das von Thomas Keating und einigen Mitbrüdern formuliert wurde, orientiert sich an der „Wolke des Nichtwissens“, einem englischen Klassiker aus dem 14. Jahrhundert. Diese Schule ist von Anfang an offener, empfohlen wird ein Gewahrsein ohne jeden Fokus. Betont wird allein der Moment des immer wieder Gewahrwerdens – eine minimale seelische Bewegung, ein Verlassen des ewigen Gedankenstromes und eine bewusste Rückkehr in die Gegenwart. Dabei wird ein möglichst einsilbiges Gebetswort nicht wie ein Mantra wiederholt, sondern nur im Moment des Gewahrwerdens als innerer, stiller Klang verspürt. Zur Methode des „Centering Prayer“ gehört auch das sogenannte „Welcoming Prayer“, eine spirituelle Praxis, mit der alle Empfindungen und Gefühle, so störend sie auch erscheinen mögen, bejaht und integriert werden.
Beides, die ostkirchliche und die Methode der „Wolke“, sind tradierte und bewährte Wege, die in vielen Fällen zu einer tiefen und bleibenden Gotteserfahrung führen können.

Meine eigene Erfahrung ist aber auch diese: Man kommt mit den beschriebenen Arten des kontemplativen Gebets weit. Aber irgendwann, nach vielen ergreifenden und tiefen Erfahrungen und nach noch mehr langen und ruhigen Stunden des Sitzens, stellen sich viele Meditierende die Frage: War es das jetzt? Zwanzig Jahre Meditation und seit 15 Jahren mehr oder weniger Routine?
An dieser Stelle wird es verzwickt. Haben nicht die Meditationslehrer und Exerzitienbegleiter immer wieder darauf hingewiesen, dass „es nichts zu erreichen gibt“ und „alles schon da ist“? Also Ausharren und so weiter machen wie bisher? Und doch bleibt da eine Ahnung, eine Intuition, dass da mehr oder anderes sein muss. Der Rest sei Gnade, heißt es dann…

Mein eigener Weg, vielleicht war das die Gnade, hat mich in dieser Situation zu den Lehren des Advaita geführt (siehe auch meinen Beitrag zur Nondualität). Bestätigung dafür habe ich von erfahrenen Meditationslehrern wie Adyashanti erhalten, der vom Zen kommend, ebenfalls Advaita in seine Lehre integriert hat. Bestätigung fand ich auch in den Aussagen von Martin Laird, der es für seine kontemplative Praxis ebenso gehalten hat. Und auch Franz Jalics hat in seinem Spätwerk auf diesen Weg hingewiesen. „Mit der Frage ‚Wer bin ich?'“, schreibt er in „Die geistliche Begleitung im Evangelium“, „geht man in eine neue und unbekannte Dimension hinein“.
Das wichtigste aber sind eigene Erkenntnisse, die aus dieser Praxis resultieren und ein Erleben, das ich hier nur in dürren Worten schildern könnte. Es gibt dazu weder „den einen Satz“, mit dem alles erklärt wäre, noch eine systematische Theologie, die keine Fragen offen lässt. Ich denke, es ist kein Zufall, dass geistliche Autoren wie Thomas Merton oft intuitiv und unsystematisch arbeiten und sich Absatzweise und in kurzen Essays äußern. Viele zeitgenössische Lehrer verzichten heute ganz auf das Schreiben. Ihre Texte sind Transkriptionen des gesprochenen Wortes, das ganz dem Moment geschuldet ist. Aus vielen Versatzstücken ergibt sich dann ein Bild im Zuhörer. „Die Worte“, so hat es der große Advaita-Lehrer Jean Klein formuliert, „sind lediglich ein Katalysator der wahren Formulierung, die im Leser (bzw. Zuhörer) stattfindet.“